aufgeschnappt

Fragwürdige Materialschlachten

In der Leichtathletik ermöglichen technologisch innovative Laufschuhe immer neue Spitzenleistungen. Diese Materialschlacht hat der Schwimmsport längst hinter sich. Das bewies der Rumäne David Popovici mit seinem Weltrekord über 100 Meter Crawl nochmals eindrücklich.

Was für den Läufer das Schuhwerk ist, war für den Schwimmer einst der Bodysuit: ein technologisches Hilfsmittel, dass die eigene Leistungsfähigkeit in ungeahnte Höhen schnellen lies. So wurden an den Schwimm-Weltmeisterschaften 2009 in Rom mit Hilfe dieser Ganzkörperanzüge innerhalb von nur acht Tagen 43 Weltrekorde aufgestellt.

Circus Maximus der Neuzeit
Die verrückten Tage von Rom setzten dem Trend, der zehn Jahre zuvor begonnen hatte, jedoch gleichzeitig ein Ende. Damals, im Jahre 1999, trug der Australier Ian Thorp als erster Spitzenschwimmer in einem Wettkampf einen Bodysuit. Mit diesem Hilfsmittel, das den Wasserwiederstand reduzierte und dem Körper Auftrieb verlieh, wurden Sportartikelhersteller wie der Pionier Adidas und Nachfolger wie Arena oder Speedo zu Technologieunternehmen mit einem Investitionsvolumen in Millionenhöhe. Anfänglich schienen alle von dieser Entwicklung zu profitieren – der Sport als Ganzes, Schwimmerinnen und Schwimmer wie auch die Industrie. Doch was sind Rekorde wert, wenn sie im Tagesrhythmus unterboten werden? Nicht wirklich viel – das sahen Ende 2009 auch die Verantwortlichen des Schwimmverbands so und verboten die Bodysuits.

Nur noch 10 von 40
Heute stammen die Weltrekorde nur noch in 10 von 40 Schwimm-Disziplinen aus der Zeit der Ganzkörperanzüge. Alle anderen Rekorde wurden seither – oft mehrmals – unterboten. Jüngstes Beispiel ist der 17 Jahre alte Rumäne David Popovici, der im vergangenen Sommer, ausgerechnet in Rom, den Weltrekord in der Königsdisziplin 100 Meter Crawl um 5 Hundertstel auf 46,86 Sekunden verbesserte. Punkto Körperbau ist der schlaksige Rumäne dabei eher ein Gegenentwurf zum muskelbepackten César Cielo, der den Rekord 13 Jahre zuvor – ebenfalls in Rom –  aufgestellt hatte.

Vieles ist möglich
Dass ein schmächtiger Teenager zu einer derartigen Spitzenleistung fähig ist, erstaunt aktuell selbst Experten. Sie schreien förmlich nach Videomaterial um den Schwimmstil von Popovici besser analysieren zu können. Aber egal ob er den Rekord seinem Stil oder seiner beeindruckenden Armspannweite von 2.05 Meter verdankt – es zeigt lediglich, dass vieles möglich ist. Auch ohne Ganzkörperanzüge. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Leichtathletik mit ihrer Laufschuh-Thematik weiterentwickelt. Es ist ihr aber zu wünschen, dass ihr das Circus Maximus-Szenario erspart bleibt.

23.12.2022